Alltag

«Frauen müssen über Geld reden.»

elleXX
Bild: Jonas Weibel
Wieso sind Frauen auch heute noch finanziell benachteiligt? Und was können wir als Gesellschaft dagegen tun? Seit 2021 sind Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen und Simone Züger mit ihrer Finanzplattform «ellexx» daran, die Finanzwelt frauenfreundlicher zu gestalten. Wir haben sie zum Interview getroffen.
Interview: Seline Schneider | Lesedauer: 5 Minuten

Sie haben ellexx 2021 gegründet. Wie hat sich die Plattform seither entwickelt?

Wir sind 2021 mit einer Vision und drei namhaften Partnern gestartet – darunter die Allianz Tochter CAP. Zweieinhalb Jahre später haben wir mit 50 000 Menschen die grösste Female Finance Community der Schweiz aufgebaut und wachsen weiterhin täglich. Die Menschen folgen uns nicht nur auf Social Media, sondern werden auch Member und lernen mit uns, wie sie ihre Geldlücken schliessen können.

Frauen haben weniger Geld als Männer, und das fängt bereits beim Taschengeld an und hört bei der Rente auf. Wir klären und rütteln auf und zeigen den Frauen, dass Geld auch Frauensache ist und wie sie ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen können. Nun sind wir daran, eine Female Finance App zu bauen, und freuen uns riesig, im Frühsommer unser Angebot noch zugänglicher zu machen.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Wir leben New Work – und haben zwar ein wunderschönes Boutique-Office im Zürcher Seefeld, aber alle unsere Mitarbeitenden können auch immer von zu Hause arbeiten. Wir versuchen, so flexibel wie möglich zu sein, damit sich Care-Arbeit, Ausbildung oder die Pflege kranker Angehöriger für unsere Mitarbeitenden möglichst gut vereinbaren lässt. Wir kommunizieren rege über Slack, und Meetings finden immer sowohl virtuell als auch physisch statt. Wir legen aber auch Wert darauf, dass wir uns an gewissen Tagen alle sehen – und das ist auch sehr wichtig, genauso wie 1:1-Gespräche mit den Teammitgliedern.

Was waren Ihre persönlichen Highlights?

Ganz klar zu sehen, wir unser Team wächst: Wir haben zu dritt begonnen, aber unser Team ist das Herz von ellexx. Ohne es wären wir nicht, wo wir heute sind.

Gemeinsam konnten wir 2023 mit unserem Crowdinvesting einen Europarekord erzielen: In keinem anderen Land schafften es Gründerinnen bisher, mehr als 1,4 Millionen Franken mit der Crowd zu finanzieren – uns ist das gelungen. Damit haben wir auch ein kleines Stück Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Die zahlreichen öffentlichen und sehr bewegenden Bekenntnisse und Statements der Crowd zu ellexx und unserer Vision sind zudem ein Weckruf für die Finanzbranche. Die Menschen wünschen sich eine chancengerechtere und nachhaltigere Welt des Geldes.

Zudem wurden wir vom Social Enterprise World Forum (SEWF) vor kurzem ausgezeichnet als erstes Schweizer Unternehmen mit dem Label «People and Planet first» – eine riesige Ehre! Firmen, die mit dem Label ausgezeichnet werden, setzen sich für eine gesellschaftliche und nachhaltige Rendite ein und stellen Profit nicht über Umwelt und Gesellschaft. Und: Wir wurden nominiert für den SEFWomenAward.

Und welches waren die grössten Hürden?

Geld. Die grösste Lücke im Finanzleben von Frauen ist die Gründung, sprich der Zugang zu Kapital, zu den grossen Finanzierungen. Frauen erhalten für ihre Start-ups 98 Prozent weniger Wagniskapital, und da sprechen wir weltweit von den wirklich grossen Summen, von Billionen Franken. Das bedeutet für Unternehmerinnen, dass ihre Ideen, Innovationen und Produkte klein bleiben und nicht wachsen können. Schauen Sie sich die Fintech-Szene in der Schweiz an. Da wurden in einzelne Roboadvisors oder Neobanken mehr als 100 Millionen Franken gepumpt, und sie fliegen doch nicht, haben weniger Asset under Management als wir und nur einen Bruchteil unserer Community. Wir mussten uns das mit zwei Prozent des Budgets von männlichen Gründern aufbauen. Das ist hart und anstrengend.

Und natürlich der ökonomische Sexismus in den Medien – aber da hatten wir glücklicherweise eine gute Rechtsschutzversicherung von der CAP! Über kein anderes Start-up und ihre Gründerinnen wurde in den letzten Jahren derart einseitig und vorverurteilend geschrieben wie über uns. Aber wir machen trotzdem weiter!

Haben Sie das Gefühl, Sie konnten mit ellexx etwas bewirken? Ist die Finanzwelt schon frauenfreundlicher geworden?

Vor drei Jahren waren «Frauen und Finanzen» noch kaum ein Thema in der Schweiz, nun springen auch immer mehr traditionelle Banken auf den Zug auf und versuchen, Frauen anzusprechen. Die Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte bleiben dann aber zumeist männerdominiert. Das ist «Pinkwashing» und nicht glaubwürdig. Wir als Gründerinnen setzen uns demgegenüber seit Jahrzehnten für Frauen ein. Trotzdem: Es hat sich viel getan, das Thema ist präsent, und die Angebote für Frauen nehmen zu. ellexx konnte etwas Wichtiges anstossen, und es ehrt uns, dass selbst herkömmliche Finanzinstitute uns als Konkurrenz sehen.

Was braucht es noch für einen weiteren Schritt in Richtung Gleichberechtigung?

Da braucht es leider nicht nur einen, sondern Hunderte. Das WEF hat ausgerechnet, dass es noch 267 Jahre dauern wird, bis Frauen und Männer die gleichen ökonomischen Chancen erhalten. Für uns ist ellexx deshalb eine Lebensaufgabe.

Was ist der grösste Fehler, den Frauen in Bezug auf Geld machen?

Nicht zu investieren. Lieber schon gestern anfangen als heute. Die beste Freundin der Anlegerin ist die Zeit. Je früher man mit dem Investieren beginnt, desto mehr profitiert man vom Zinseszins-Effekt. Jede:r sollte schon mit 18 Jahren beginnen, anzulegen. Die Welt des Investierens wurde in den letzten Jahren demokratisiert. Man kann auch mit kleinen Beträgen beginnen. Die Aktienmärkte haben historisch betrachtet im Schnitt mit 6 bis 7 Prozent rentiert, und dies jährlich. Doch viele tun sich schwer, sich exponentielles Wachstum vorzustellen – deshalb nehmen wir auch die Angst vor dem Investieren in unseren Kursen.

Was würden Sie Frauen raten, die sich bisher noch nicht gross mit Finanzen auseinandergesetzt haben und erste Investitionsversuche starten wollen?

Die ellexx Membership ;-). Diese stärkt Frauen umfassend finanziell, nimmt sie an der Hand, und zwar ohne Finanz-Blabla, immer auf Augenhöhe, mit liebevoll gestalteten und ansprechenden Tools. Auch Budget-Tools gibt es bei uns in schön. Design ist für uns ganz klar ein Zeichen der Wertschätzung der User:innen. Wir treten den Beweis an: «Finances are Fun.» Unsere Coachings, Kurse und Videos sind immer gut besucht, und die Checklisten und Artikel, die wir den Membern zur Verfügung stellten, lassen sie auch selbständig ihre Finanzen regeln. Geldfragen gehen ja weit über das reine Investieren hinaus, es ist ein Querschnittthema, das fast überall im Leben relevant ist.

Und was können Männer tun, um Frauen im Bereich Vorsorge zu unterstützen?

Schauen, dass sie bei der Care-Arbeit wirklich gleiche Teile übernehmen, inklusive Mental-Load. Und im Zweifelsfall eine ellexx Membership verschenken ;).

Sie bieten zusammen mit Partner:innen verschiedene Produkte an, darunter eine Rechtsschutzversicherung mit der CAP. Warum ist Rechtsschutz Ihrer Meinung nach (insbesondere für Frauen) so wichtig?

Gerade wenn es zur Scheidung kommt oder die Frauen ihren Arbeitsplatz nach der Mutterschaft verlieren, sind sie gefrustet. Hier konnten wir zusammen mit der CAP viel bewirken, indem sie als erste Rechtsschutzversicherung in der Schweiz diese Leistungen dank unserer Kooperation nun anbietet. Frauen sind oft mit arbeitsrechtlichen Herausforderungen konfrontiert. Man denke an Schwangerschaft, Mutterschutz, aber auch Lohndiskriminierung – der Gender Pay Gap liegt leider immer noch bei 18 Prozent –, Sexismus oder Mobbing. Gerade Frauen müssen sich wehren können. Und der Zugang zum Recht hat nun mal auch mit den Finanzen zu tun. Eine Stunde bei der Anwältin kostet locker 400 Franken, also deutlich mehr als eine Rechtsschutzversicherung im Jahr.

Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit mit der CAP?

Diese Kooperation ist Pionierarbeit! Eine frauenfreundliche Rechtsschutzversicherung von Frauen für Frauen – das gab es hierzulande bisher noch nicht. Das Team der CAP nimmt Frauen und ihre Bedürfnisse als Kundinnen ernst. Wir konnten zusammen eine Produktinnovation entwickeln. Damit war es aber nicht getan. Es braucht noch so viel Aufklärung! Frauen haben Recht. Wir produzieren deshalb weiterhin auch Inhalte mit den Rechtsschutzexpertinnen und CAP-Anwältinnen zusammen. Wir haben beispielsweise gemeinsam den Podcast AkteXX produziert und bieten für unsere Community zahlreiche lebensnahe Coachings zu Familien- oder Arbeitsrecht an.

AkteXX – der Podcast von ellexx und CAP

In diesem Podcast diskutieren Nadine Jürgensen und Patrizia Laeri von ellexx mit einer Juristin der CAP Rechtsschutzversicherung reale Rechtsfälle.

Was sind Ihre Pläne für die nächsten drei Jahre?

Die Geldlücken im Leben der Frauen sind leider internationale Phänomene. Wir wollen, dass so viele Europäerinnen wie möglich in den nächsten Jahren von ellexx profitieren können. Nun launchen wir im Frühling aber erst einmal unsere Female Finance App. Damit können wir unsere User:innen noch viel gezielter und personalisiert finanziell stärken. Und im Herbst folgt noch unser Close The Gaps Buch. Es wird ein Augen öffnendes, forschungsbasiertes und epochales Werk, das hoffentlich das finanzielle Leben ganzer Generationen von Frauen in der Schweiz verbessern wird.

Was möchten Sie persönlich noch erreichen?

Wir sind Lückenschliesserinnen. Wir wünschen uns ausgeglichene Verhältnisse und würden dies gerne noch erleben. Geld ist die letzte Frontlinie der Gleichstellung.

Porträit Patrizia Laeri
Patrizia Laeri, CEO
Frauen und Finanzen: dafür schlägt das Herz der Ökonomin und preisgekrönten Wirtschaftsjournalistin. Patrizia Laeri versteht es, komplexe Wirtschaftszusammenhänge einfach zu erklären. Sie gilt als Vorkämpferin für die Gleichstellung in den Medien und ist Jury-Mitglied verschiedener Business Awards für Frauen. Neben der Gleichstellung engagiert sie sich als Beirätin des Institute for Digital Business HWZ für den technologischen Fortschritt.
Porträit Nadine Jürgensen
Nadine Jürgensen, COO
Selbstbestimmung und Unabhängigkeit: Dazu möchte die Anwältin und langjährige Politikjournalistin die Frauen ermuntern. Nadine hat sich für die NZZ als Inlandredaktorin, als Kolumnistin für das Magazin des Tages-Anzeigers und des Schweizer Monats oder als Autorin und Moderatorin immer wieder mit den Themen Gleichstellung, Nachhaltigkeit und Recht auseinandergesetzt und kritisch kommentiert. Sie ist eine einflussreiche Stimme für politische Gleichberechtigung in der Schweiz und zudem Co-Präsidentin der Bewegung WE/MEN, Männer und Frauen zusammen für mehr Gleichberechtigung in der Öffentlichkeit, und unterstützt als Beirätin das Team von Tadah sowie den Conscious Influence Hub.
Porträit Simone Züger
Simone Züger, CIO
Design und Technologie: die Designerin und Unternehmerin weiss, wie man Emotionen in die digitale Welt überführt und einen starken Brand aufbaut. Simone führt ihr eigenes Design Studio in Zürich mit Schwerpunkt Branding und Produktdesign. Ob Platform Building, UX-Design oder digitale Assets in der Kunst – sie begeistert sich für jegliche digitale Themen und liebt es, auf diversen Kanälen fesselnde Erlebnisse zu schaffen. Simone engagiert sich als Jurorin und ist Gastdozentin an diversen Hochschulen im In und Ausland. Sie hat in Zürich die Eventreihe “Ladies, Wine & Design” initiiert, um Frauen in der Kreativbranche zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterstützen. Zudem war sie Vorstandsmitglied von Medienfrauen Schweiz.
Bilder: Jonas Weibel